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Solidarität mit Rojava (II) - Fridays for Future International

Warum müssen wir als Klimagerechtigkeitsbewegung Rojava verteidigen? Und wie wird uns das weiter entwickeln?

Am 9. Oktober begann der türkische Faschismus mit seiner „Operation Friedensquelle“.
Er führt einen brutalen Besatzungskrieg gegen die Demokratische Föderation Nordostsyrien (Rojava). Am Tag des Angriffes erreichte uns ein Aufruf zur Solidarität von der Fridays For Future Ortsgruppe in Rojava, der sich genau an uns Jugendliche von Fridays For Future richtete. Das führte zu heftigen Diskussionen in unserer Bewegung, die zeigten, dass es um viel mehr als irgendeine Ortsgruppe geht: es geht um die Zukunft der Menschen in Rojava, um die Zukunft des einzigartigen gesellschaftlichen Projekts dort und nicht zuletzt um die Zukunft unserer Bewegung selbst. Wir haben, trotz der Widersprüche, die sich auftaten in den Diskussionen, eine unglaublich große Solidarität in Fridays For Future wie in anderen Teilen der linken Bewegung erlebt. Über 100 Fridays For Future-Ortsgruppen haben eine gemeinsame Solidaritätserklärung unterschrieben, unter dem Motto #fridaysforpeace sind alleine in Deutschland in 20 Städten FFF-Aktionen in Solidarität mit Rojava durchgeführt worden.

Zu der Demonstration in Berlin am 2. November unter dem Motto „Stoppt den Krieg! – Solidarität mit Rojava“ gibt es auch einen Aufruf an die Klimagerechtigkeitsbewegung. Als sozialistische Jugendliche in FFF sind wir der Überzeugung, dass Solidarität mit Rojava heute keine Detail- oder Szenefrage ist, sondern eine Voraussetzung für konsequente Klimagerechtigkeitspolitik in Deutschland.

Rojava ist ein ökologisches Gesellschaftsprojekt

Die Revolution in Rojava war von Anfang an auch eine ökologische Revolution. In der Gesellschaftsphilosophie, die Rojava zugrunde liegt, ist Ökologie neben Frauenbefreiung und Demokratie einer der Grundpfeiler der Gesellschaft. Früher war den Menschen in Rojava durch das syrische Regime sogar verboten, Gemüse und Obst anzubauen. Durch Monokulturen wurde der Boden völlig ausgelaugt und die Menschen wurden in wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten.
In Rojava ist erkannt worden, dass Ökologie und soziale Probleme zusammenhängen und nicht voneinander trennbar sind. Die Menschen haben das teilweise sehr hart lernen müssen: durch die massenhafte Abholzung von Bäumen und den Anbau mit Monokulturen sind viele Teile der Region vertrocknet und leiden heute unter Wassermangel. Dass die Wirtschaft in Rojava so behandelt wurde, hängt in vielen Teilen auch mit dem Kolonialismus des syrischen Staats über den dort lebenden Kurd*innen und anderen Völkern zusammen. Auch besonders die Kriege, die die Region seit Jahren zerrütten, haben einen sehr großen Einfluss auf die Natur und die Lebensgrundlagen der Menschen. Auf den verbrannten Erden, die der IS zurückgelassen hat, lässt sich nicht leben. Die ökologische Krise ist eine Krise des Lebens, des Überlebens.
Trotz der seit Jahren andauernden Kriegssituation, trotz des fehlenden Geldes, trotz der fehlenden Erfahrung, trotz alledem wurde die Lösung der ökologischen Probleme in Rojava nicht auf morgen verschoben. Ökologische Landwirtschaft wird nach vorne gebracht in den Kommunen. Zum Beispiel hat die internationalistische Initiative Make Rojava Green Again ein Aufforstungsprojekt begonnen, mit dem den verbrannten Erden wieder Leben eingehaucht werden soll. Es werden Projekte entwickelt, um das Wasser zu klären, um den Müll zu entsorgen, um nachhaltige Energien zu erzeugen.
Sehen wir uns die Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahren an: so viel Technologie, so viel Geld, so viel Know-How ist vorhanden, so lange schon rufen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen nach einem dringend nötigen radikalen ökologischen Wandel – doch vor wenigen Tagen kam heraus, dass die Bundesregierung ihre eigenen Klimaschutzziele für 2020 wohl frühestens 2025 erreichen wird. Und das obwohl die selbst gesetzten Ziele schon als viel zu kleine Tropfen auf den heißen Stein kritisiert werden. Wenn wir uns anschauen, was für früher undenkbare Fortschritte in Rojava innerhalb weniger Jahre gemacht wurden, sehen wir, was für eine Kraft solch eine Revolution hat.
Soziale Ökologie als Grundpfeiler der Gesellschaft

In Rojava wird Ökologie nicht getrennt von den anderen Fragen des Lebens gesehen. In Fridays For Future diskutieren wir immer wieder, ob wir eine „reine Klimaschutzbewegung“ sind. Aber was bedeutet „reiner Klimaschutz“? Fallen andere Teile des Umweltschutzes, wie z.B. der Schutz von bedrohten Lebensräumen, nicht darunter? Dabei bedingen doch die Zerstörung von Lebensräumen, die Ausrottung von Arten, etc., das Kollabieren von Ökosystemen genauso wie die Klimakrise und bedingen sie auch oft die Klimakrise selbst! Und fallen andere Teile linker Politik, wie z.B. Antifaschismus, nicht darunter? Dabei sind es doch auch Faschisten wie Bolsonaro oder Erdogan, welche Verantwortung tragen für die Zerstörung der Natur – gemeinsam mit der Zerstörung der Leben etlicher Menschen!

Das Trennen von sozialen und ökologischen Fragen ist wie das Trennen von linker und rechter Gehirnhälfte. Nur zusammen bringen sie einen sinnvollen Gedanken heraus. Ohne funktionierende Umwelt kein menschliches Leben. Aber was für ein Leben wollen wir? Wer Ökologie versteht wie der französische Präsident Macron und den Preis auf Benzin erhöht, damit die Menschen weniger Auto fahren – aber ohne den Arbeiter*innen dabei die Möglichkeit zu geben, ohne Probleme auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen – der erntet eine Gelbwestenbewegung. Wer sagt, für die Umwelt sollten wir alle nur noch BIO-Produkte essen, der vergisst, dass die meisten Menschen in unserem jetzigen System dann nur noch einen Wocheneinkauf im Monat machen könnten – und danach schauen müssten, wo sie bleiben. Auf der anderen Seite nützt es uns auch nicht viel, wenn alle Fabriken und Produktionsorte in Händen der Arbeiter*innen ist, aber unsere Welt schon längst in Waldbränden, Hurricanes und Süßwassermangel untergeht.

Auf diesem Verständnis, dass unsere Gesellschaften, unser Leben, ganzheitlich betrachtet werden müssen, fußt auch die Revolution in Rojava. Es wird versucht, einen ganzheitlichen Wandel zu schaffen: hin zu einer ökologischen Gesellschaft, die nicht versucht, die Natur zu beherrschen, sondern sich immer besser wieder in ihre Kreisläufe zu integrieren. Genauso hin zu einer Gesellschaft ohne patriarchale Unterdrückung von (cis-)Männern gegenüber Frauen und anderen Geschlechtern. Hin zu einer Veränderung des Wirtschaftssystems, welches letztlich immer die Grundlage für unser gesellschaftliches Leben ist.
Krieg zerstört Mensch und Natur

Ist Krieg ein Thema für die Klimagerechtigkeitsbewegung? Viele Menschen sagen darauf „Nein“. Sie sagen, dass wir uns allein auf das Thema der Klimakrise fokussieren sollten. Und andere Themen, so wie Kriege, mögen ja wichtig sein, aber darum müssten sich doch andere Bewegungen kümmern. Und wer sich dafür interessiert, könne doch gerne zu diesen anderen Bewegungen gehen.
Krieg bedeutet die Zerstörung von Mensch und Natur. Er bedeutet in erster Linie unsägliches Leid für die Menschen, die betroffen sind – aber die Menschen, die angegriffen werden, leben auch auf einem Boden, und dieser wird nachher nicht mehr wie vorher aussehen. Der türkische Staat nutzt schon lange ökologische Kriegsführung in seinem Kampf gegen die kurdische Befreiungsbewegung sowohl in Nordkurdistan/Türkei (Bakur) als auch in Westkurdistan/Syrien (Rojava). Es gibt etliche Fälle, in denen das türkische Militär ganze Wälder abgefackelt hat, weil sie die Vermutung hatten, dort würden sich Guerrillas verstecken. Schon vor Beginn des offenen Krieges gegen Rojava hat die Türkei schon auf verschiedene Weisen mit ökologischen Mitteln angegriffen: nachdem der IS vertrieben wurde und die kurdische Bewegung Selbstverwaltungen aufgebaut hat, wurden Flüsse, die in diese Gebiete flossen, an der türkischen Grenze aufgestaut und den Menschen wie auch der Landwirtschaft und Natur wurde der Wasserzugang extrem knapp. Auf der anderen Seite wurden dann kurz vor Erntezeit Schleusen geöffnet und Felder geflutet, sodass die gesamte Ernte zerstört wurde. Vor kurzem wurde bekannt, dass die Türkei in Serekaniye weißen Phosphor, einen giftigen chemischen Brandstoff, gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat. Das ist eine unglaublich grausame Art, Menschen zu ermorden. Und es ist nicht absehbar, welche langfristigen Folgen der Einsatz chemischer Kampfmittel für die Menschen und die Natur in der Region haben wird.


Hier wurden nur einige konkrete Beispiele aus Kurdistan und aus der letzten Zeit genannt. Die Geschichte zeigt uns, was für eine unglaubliche Zerstörung die vielen Kriege, die diese Welt schon miterleben musste, nach sich gezogen haben. So wie die Türkei heute in Kurdistan vorgeht, ganze Wälder und Dörfer niederbrennt, sind die USA in Vietnam schon mit dem giftigen Entlaubungsmittel Agent Orange vorgegangen. Dieser Krieg hat etliche, grausame, langfristige Schäden und unzählige Opfer mit sich gebracht: so etwas darf nie wieder passieren. Und von den Folgen der unvorstellbaren Zerstörung durch Atombomben und andere solche Waffen brauchen wir gar nicht erst anfangen.

Eigentlich müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass jeder Mensch mit dem Ansatz eines Herzens in der Brust, sich gegen solche grausamen Kriege stellt, die letztlich nur für die Interessen einiger Faschisten wie Erdogan geführt werden. Und auch, dass die Ablehnung solcher Kriege, genauso wie die Ablehnung von Faschismus, der Unterdrückung von Frauen und LGBTI, etc., ein selbstverständlicher Grundkonsens in jeder fortschrittlichen Bewegung sind.

Wir müssen immer die Zusammenhänge sehen; wir müssen sehen, woher und von wessen Interessen die Unterdrückung von Menschen und der Natur kommen. Und wir müssen, besonders in Zeiten wie diesen, unsere Gemeinsamkeiten mit anderen Bewegungen sehen anstelle unserer Differenzen.
Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt

Solidarität ist wichtig. Es ist wichtig, unseren Freund*innen, unseren Genoss*innen dort in Rojava wie überall auf der Welt zu zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. Doch es geht nicht nur um Zeichen.
Der deutsche und der türkische Staat haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit, die älter ist als sie selbst und sich bis zu Preußen und dem Osmanischen Reich zurück zieht. Auch heute gehen die Politiken von Merkel und Erdogan weiterhin Hand in Hand.

Am bildlichsten wurde das beim Einmarsch in Efrin, einem Kanton Rojavas, welcher schon letztes Jahr von der Türkei besetzt wurde. Damals kamen Fotos auf, auf denen eindeutig zu sehen war, dass es deutsche Panzer von Rheinmetall waren, mit denen in Rojava einmarschiert wurde und massenhaft Menschen ermordet wurden. Allein im letzten Jahr lieferte Deutschland Kriegswaffen im Wert von 242,8 Millionen Euro an die Türkei; fast ein Drittel der Gesamtlieferungen! Und das obwohl die Türkei im selben Jahr in Efrin einmarschiert war; obwohl die Bundesregierung (kurz vor Ende des Krieges) ihn dann auch als völkerrechtswidrig verurteilt hatte. Der Verurteilung sind aber eh praktisch keine Konsequenzen gefolgt. Und sogar jetzt, mitten in der Invasion der Türkei in Rojava, die nach allen internationalen Gesetzen illegal ist, sogar jetzt wurde immer noch kein Embargo auf Waffenlieferungen an die Türkei verhängt! Schon genehmigte Aufträge können weiterhin erfüllt werden. Die diplomatischen Beziehungen mit diesem offen faschistischen Staat, der schon zahlreiche deutsche Aktivist*innen und Journalist*innen wie Peter Steudtner, Deniz Yücel, Mesale Tolu und Adil Demirci ohne Grundlage verhaftet hat, dessen Gefängnisse schon längst überfüllt sind, der Menschen verschwinden lässt, gewählte Bürgermeister*innen einfach absetzt und verhaftet, kaum noch irgendwelche Form des Protestes duldet… mit ihm werden weiterhin diplomatische Beziehungen geführt, ganz als wäre nichts dabei. Auf Krieg und Unterdrückung reagiert Berlin im besten Fall mit heuchlerischer Besorgnis und platten Friedensappellen – meistens machen sie sich jedoch nicht einmal diese Mühe. Die kurdische Bewegung und die migrantische Linke werden immer weiter kriminalisiert; der Mesopotamien-Verlag wird verboten, die PKK ist seit Jahrzehnten schon verboten, aber die faschistischen Grauen Wölfe, die Massaker an Kurd*innen, Kommunist*innen und anderen fortschrittlichen Menschen auf dem Gewissen haben, können weiterhin ihre über 300 Vereine betreiben und sind die wohl größte rechtsextreme Organisation in Deutschland.

Es gibt etliche Beispiele der türkisch-deutschen „Freundschaft“: nicht nur klare Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, auch Autokonzerne wie VW und Mercedes liefern Rüstungsfahrzeuge an die Türkei. VW wollte sogar eine eigene Fabrik direkt in der Türkei bauen, was jetzt jedoch erst mal wieder auf’s Eis gelegt wurde, nachdem die türkische Invasion in Rojava nun doch einiges an Protesten und Diskussionen hier in Deutschland ausgelöst hat und diese Fabrik ihrem Image im Moment wohl schaden würde. Auch ein halbstaatlicher Konzern wie turkish airlines fliegt wie gehabt täglich deutsche Flughäfen an und füllt dadurch Erdogans Kriegskassen mit deutschem Tourismus.

Und nicht zuletzt gehen Deutschland und die EU Flüchtlingsdeals mit dem türkischen Faschismus ein, zahlen Milliarden Euro, damit die Menschen in der Türkei unter oft schrecklichen Bedingungen in Camps zusammengepfercht werden, frei nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Als der Besatzungskrieg in Rojava begann, drohte Erdogan der EU sogar mit den Flüchtenden – und diese lässt sich erpressen.
Deutschland und die EU sind eng verwickelt mit dem türkischen Faschismus und sie könnten einen extrem großen Einfluss haben, wenn sie das wollten. Jedoch scheinen die Profite deutscher Unternehmen und die Angst vor Flüchtenden doch mal wieder stärker zu sein als die Werte von Demokratie und Menschenrechten.
Was da bleibt? Auf unsere eigene Kraft vertrauen. Unter der Kampagne #riseup4rojava wurden schon etliche direkte Aktionen durchgeführt, die die Vertreter des türkischen Krieges hier in Deutschland direkt angreifen. Es gab Blockaden von Waffenkonzernen wie Rheinmetall, von Autokonzernen wie Mercedes, von Check-in-Schaltern von turkish airlines. Genauso ist es aber natürlich unermesslich wichtig, diese Verbindungen aufzuzeigen und anzukreiden durch kreativen und massenhaften Protest. Und besonders: zu zeigen, dass wir vereint hinter Rojava stehen. Wir stehen gemeinsam hinter unseren Freund*innen, Genoss*innen, die dort eine ökologische, demokratische, frauenbefreiende Revolution geschaffen haben und die uns hier eine Perspektive geben, aus der wir lernen können: lernen, Zusammenhänge zu sehen, sich gemeinsam zu organisieren und auf seine eigene Kraft zu vertrauen. Die Rojava-Revolution wird nicht zum ersten Mal angegriffen, sie steht nicht zum ersten Mal einer Übermacht entgegen. Aber wie das Sprichwort sagt: Totgeglaubte leben länger.
Im ersten Teil dieses Artikels haben wir versucht, die Gründe, warum wir auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung hier in Deutschland die Rojava-Revolution verteidigen müssen, klarer zu machen. Im zweiten Teil des Artikels werden wir auf die Möglichkeiten, die diese Solidarität der Weiterentwicklung unserer Bewegung gibt, eingehen.

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